Ehrenbürgerwürde

Laudatio von Dr. Edmund Stoiber anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Alt-Oberbürgermeister Dr. Balleis am 11. Juli 2014 in Erlangen

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Alt-Oberbürgermeister und Neu-Ehrenbürger,
sehr geehrte Damen und Herren,

vor mehr als 12 Jahren, am 27. Januar 2002, war ein ganz besonders Ereignis, bei dem ich schon einmal eine Festrede hier in Erlangen halten durfte: der 1000 Geburtstag dieser selbstbewussten, exzellenten Stadt. Seither ist es eine gute Tradition, im Juli in einer Festsitzung des Stadtrats diesen Stadtgeburtstag zu feiern. Und man kann sich eigentlich kaum einen besseren Rahmen wie diesen Juli-Termin für die Verleihung einer Ehrenbürgerwürde vorstellen.

Wie ich gehört habe, hat im vergangen Jahr Joe Kaeser zum Stadtgeburtstag gesprochen. Zwei Wochen später war er der neue Siemens-Chef. Man sieht also, welche Ausstrahlung dieser Termin in Erlangen hat! Aber keine Sorge – ich will nichts mehr werden…

Der heutige Tag ist für mich ein absolutes Novum. Unzählige Reden habe ich in meinem Leben gehalten, zu kleineren Anlässen und zu großen, aber noch nie zur Verleihung einer Ehrenbürgerwürde. Wenn es für mich für eine solche Premiere einen geeigneten Rahmen und einen geeigneten Bürger geben kann, dann ist das ohne jeden Zweifel die Stadt Erlangen mit ihrem neuen Ehrenbürger Siegfried Balleis.

Übrigens finde ich es sehr bemerkenswert, dass Siegfried Balleis so kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Amt und nach einer intensiven Wahlauseinandersetzung auf diese Weise geehrt wird. Noch dazu als erster neuer Ehrenbürger seit 10 Jahren – wenn ich richtig informiert bin. Das ist ein eindrucksvolles Signal: Seine Leistungen für diese Stadt werden über die Parteigrenzen hinweg anerkannt und hoch geschätzt!

Warum habe ich zu Siegfried Balleis überhaupt etwas zu sagen? Ich kenne Siegfried Balleis seit seinen Jungspund-Zeiten in der Jungen Union. Und schon damals hat ihn das ausgezeichnet, was ihn zu einem außerordentlich erfolgreichen Politiker und Oberbürgermeister werden lassen sollte: Eine unbändige Neugier und Leidenschaft für Politik, für ökonomische und insbesondere gesellschaftliche Prozesse. Eine große Lust am Diskutieren und Debattieren. Ein positiver Drang zum Gestalten und eine bemerkenswerte Offenheit für Neues.

Ganz besonders aufgefallen ist mir schon damals, mit welcher Begeisterung und intellektueller Schärfe er sich auf die Kommunalpolitik gestürzt hat. Während andere von der sogenannten großen Politik träumten und Außenpolitik, Verteidigungspolitik oder Finanzpolitik machen wollten, war für Siegfried Balleis die Kommunalpolitik das Höchste der politischen Gefühle.

Der unmittelbare Lebensraum der Menschen, die Heimat war es, die er noch besser und noch lebenswerter machen wollte. Nicht der Landtag, nicht der Bundestag erschienen ihm erstrebenswert. Das sind ja nicht höhere, sondern andere Aufgaben. Und auch dazu hätte er die Kompetenzen ohne weiteres mitgebracht. Nein – er wollte schon damals nichts sehnlicher als in den Zirndorfer Stadtrat und in den Kreistag von Fürth.

Doch wie kommt dann eigentlich ein ehemaliger Ministerpräsident überhaupt zu dieser Laudatio? Natürlich zuerst, weil man ihn gebeten hat. Aber vor allem auch, weil Siegfried Balleis stets mehr war – und ist – als ein außerordentlich erfolgreicher Kommunalpolitiker und Oberbürgermeister. Er ist gewissermaßen ein Solitär: Er hat die Kommunalpolitik als die Erfüllung betrachtet, aber diese immer in den Zusammenhang der gesamten Politik gestellt. Ein begabter, leistungsorientierter Kommunalpolitiker, der sich mit Haut und Haaren seiner Stadt verschrieben hat. Der aber zugleich immer das große Ganze im Blick hatte und in den Diskussionen auf Landes- und Bundesebene mitgesprochen und auch mitgestaltet hat.

Nicht nur einmal habe ich es erlebt, dass Siegfried Balleis in einer landes- oder bundespolitischen Diskussion informierter, kundiger und phantasievoller war als die eigentlich Zuständigen. Wenn er sich in politischen Gremien meldet – egal zu welchem Thema -, dann hören alle hin und dann hat das immer Substanz. Für diejenigen, die Politik eher oberflächlich betreiben, kann das anstrengend sein. Aber es ist das, was die Bürgerinnen und Bürger von Politikern erwarten!

Für mich persönlich war in den vielen Jahren sehr wichtig: Man kann sich auf ihn verlassen. Und: Er gibt Vertrauen, das man in ihn setzt, auch zurück. So habe ich ihn immer erlebt und das habe ich ganz besonders geschätzt.

Schon vor seiner ersten Wahl zum Oberbürgermeister war Siegfried Balleis ein personifizierter Mister Erlangen: Mitarbeiter von Siemens, dann Wirtschafts- und Liegenschaftsreferent im Rathaus. Eine bessere Grundausbildung für seine spätere Aufgabe kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen! Als im Jahr 1993 das Pentagon bekannt gab, das der Militärstandort Erlangen aufgegeben wird, hat Siegfried Balleis auf seiner damaligen Ebene die große Chance erkannt und den Ankauf dieses riesigen Areals durch die Stadt entscheidend mit vorbereitet. Arbeiten, Wohnen, Studieren, Naturschutz und der Bau der Med-Fabrik durch die Siemens AG – all das konnte mit diesem Gelände umgesetzt werden.

Der Mut des damaligen Oberbürgermeisters und auch des Erlangers Stadtrates zahlte sich im wahrsten Sinne Wortes aus, nicht nur in der Stadtentwicklung, sondern auch mit einem ordentlichen zweistelligen Millionenbetrag an Nettoerlösen aus diesem Gelände. Und in gewisser Weise hat sich im Februar dieses Jahres ein Kreis geschlossen, als zum Ende der Amtszeit von Siegfried Balleis, Staatsregierung, Stadt und Siemens AG die Vereinbarungen für einen neuen 500-Millionen-Euro Siemens-Campus unterzeichneten.

Jedenfalls hatte Siegfried Balleis seine Fähigkeiten schon früh mehr als angedeutet. Ich werde es nie vergessen, wie ich im Kommunalwahlkampf 1996 in der Heinrich-Lades-Halle für den jungen Kandidaten gekämpft habe. 52,2 Prozent bei drei Gegenkandidaten – der Vertrauensvorschuss der Erlanger war groß und sie wurden nicht enttäuscht.

Der frischgewählte OB sprühte vor Ideen. Er war jung, gut ausgebildet, brennend für die Aufgabe, auch in der Runde der Oberbürgermeister mit seiner Eloquenz bestechend.

Er hatte sich mit Erlangen ja kein leichtes Pflaster ausgesucht: Erlangen hat ein besonderes Niveau, in der Kultur, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft. Viele gut ausgebildete Menschen tragen ihre Ansprüche und Erwartungen an die Politik heran. Das ist eine Chance, aber auch eine spezifische Herausforderung für einen Oberbürgermeister.

Dabei stand Siegfried Balleis immer auf einem festen Fundament. Als seine politischen Handlungsmaximen habe ich vor allem empfunden:

• die Finanzen der Stadt Erlangen wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen,

• Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Unternehmerinnen und
        Unternehmer Lust haben in der Stadt zu investieren und 

• das Ehrenamt zu fördern.

Und, wie ist die Bilanz? In allen Bereichen konnte er große Erfolge erzielen.

Siegfried Balleis war ein Glücksfall für Erlangen: Mitte der 90er Jahre wollten wir in der Staatsregierung einen Innovations- und Wachstumsschub für Bayern erreichen. Wir wollten sozusagen die Lederhose mit einem Laptop ausstatten. In dieser Phase weitreichender politischer Weichenstellungen hat Siegfried Balleis die Chancen für Erlangen erkannt und ergriffen.

Ich kann ja hier aus dem Nähkästchen plaudern: Die Staatsregierung wollte damals – entgegen dem Rat hochkarätiger internationaler Experten – hohe Privatisierungserlöse nicht allein auf München konzentrieren. Sondern wir wollten mit einem dezentralen Politikansatz das ganze Land stärken. Dafür brauchten wir kommunale Partner, die in der Lage waren, die Ideen und Initiativen vor Ort aufzugreifen, umzusetzen und zu veredeln. Dieser ideale, ich kann fast sagen kongeniale Partner war Siegfried Balleis mit seinem geliebten Erlangen. Und so wurde Erlangen nach und nach zu einer perfekten Blaupause eines modernen Landes – nicht nur für Franken, sondern für ganz Bayern.

Das waren damals die Geburtsstunden der Bundeshauptstadt der Medizin. Diese Vision hatte Siegfried Balleis am 2. Mai 1996 in seiner Antrittsrede als neuer Oberbürgermeister entwickelt.

Und diese Vision hat sich außerordentlich segensreich ausgewirkt – nicht nur für die Stadt Erlangen sondern für die gesamte Region. Meine Regierung hat diese Vision von Anfang an tatkräftig unterstützt und in mehreren Regierungserklärungen immer wieder klar zum Ausdruck gebracht, dass das Zentrum der Medizintechnik in Bayern in Erlangen angesiedelt ist. Übrigens: Das sahen und sehen beileibe nicht alle so! Auch andere Regionen schlafen nicht. Deshalb muss diese Vorreiterrolle immer wieder gesichert und neu erkämpft werden!

Das gilt nicht nur national: Ich erinnere mich noch gut an das heftige Ringen zwischen Erlangen und Newcastle in der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Das Lohnniveau und die in Aussicht gestellte Förderung waren für Siemens verlockend. Das waren schwierige Gespräche mit dem Erlanger Bürger Heinrich von Pierer, der die Interessen seines Konzerns vertreten musste. Für mich war das eine absolute Nagelprobe für den Innovations- und Wissenschaftsstandort Bayern. Auch Siegfried Balleis hat alle Register gezogen – und gemeinsam haben wir es schließlich geschafft.

Die Vision des Medical Valley hat inzwischen eine enorme Wirkung im Hinblick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, aber auch hinsichtlich der wissenschaftlichen Kompetenz entwickelt. Es gibt in Deutschland kaum eine Clusterbildung, die mit soviel Energie und vor allem auch so erfolgreich vor Ort vorangetrieben wurde. Dabei hat sich eine außerordentlich erfolgreiche Kooperation zwischen der bayerischen Staatsregierung, der Stadt Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg entwickelt. Neudeutsch könnte man sagen: eine Win-Win-Win Situation. Bis heute sind circa eine Milliarde Euro staatlicher Mittel nach Erlangen geflossen. Der Löwenanteil diente und dient dabei dem Neubau und der Ertüchtigung der Universitätskliniken. Ich glaube, Erlangen kann darauf sehr stolz sein!

In seiner ersten Amtszeit ist es Balleis nicht nur gelungen, die Vision von der Medizinstadt voranzutreiben, sondern auch die Finanzen der Stadt in Ordnung zu bringen. Die Devise lautete nicht nur „Nettoneuverschuldung Null“, sondern sogar Abbau alter Schulden. Ich weiß aus eigener Erfahrung wie schwierig ein derartiges „Umsteuern“ auch bei den bayerischen Staatsfinanzen war und welche großen Widerstände auch in den politischen Gremien dabei zu überwinden waren. Spätestens seit der weltweiten Finanzkrise muss allen bewusst sein, wie wichtig und notwendig solide Stadt- beziehungsweise Staatsfinanzen sind.

Seiner Zeit immer einen oder zwei Schritte voraus sein – das ist das Markenzeichen von Siegfried Balleis. Erlangen war mit ihm immer in Bewegung – ich kann in diesem Rahmen unmöglich alle Initiativen und Projekte aufzählen, mit denen Erlangen immer wieder neue Spitzenplätze im Kreis vergleichbarer Großstädte erreichen konnte – von der Versorgung mit Krippenplätzen über die niedrigste Arbeitslosenquote bis zu einem der bürgerfreundlichsten Bürgerämter.

Wie schon gesagt: Der Horizont des neuen Ehrenbürgers endet nicht an der Erlanger Stadtgrenze. Besonders stolz kann er auf die Entstehung und Entwicklung der Metropolregion Nürnberg sein. Die eigentliche Entstehung ist nämlich nicht erst mit der Unterzeichnung der Charta der Metropolregion am 12. Mai 2005 in Erlangen im Zusammenhang mit der 250. Bergkirchweih erfolgt, sondern fast ein ganzes Jahrzehnt früher. Balleis schlug beim Antrittsbesuch der neu gewählten Oberbürgermeister der Städte Nürnberg, Fürth und Erlangen bei mir in der Staatskanzlei am 12. Juni 1996 die Gründung eines Vereins „Die Region Nürnberg e.V.“ vor und führte aus, dass es Probleme mit der Terminfindung mit den zuständigen Ministern gäbe. Ich habe damals meine Zusage für den 25. Juli 1996 gegeben und wir konnten den Verein gemeinsam aus der Taufe heben – übrigens gemeinsam mit den Ministern, die ursprünglich Zeitprobleme hatten…

Dass Siegfried Balleis stets auch ein Verfechter der fränkischen Interessen gegenüber dem Freistaat Bayern war, hat er nicht zuletzt dadurch bewiesen, dass er als Sprecher der fränkischen Oberbürgermeister fungierte. Im Bayerischen und Deutschen Städtetag waren seine Tatkraft und sein Rat gefragt. Als Ministerpräsident war er für mich ein wichtiger und geschätzter Ratgeber, insbesondere in Fragen der Verwaltungsreform.

Geschätzt und gefürchtet zugleich ist seine Hartnäckigkeit. Wenn er sich etwas in den Kopf setzt – wie etwa die Erlangen Arcaden, dann geht er zur Not auch durch zwei Bürgerentscheide. Sein Motto ist: Man muss mitunter hart für seine Überzeugungen kämpfen und darf nicht vor jedem sich in den Weg stellenden Widerstand einknicken. Aber was heißt bei Siegfried Balleis schon Widerstand? Als er mich bei meinem ersten Besuch im Erlanger Innovations- und Gründerzentrum auf Krücken empfing, fragte ich natürlich nach dem Grund: Er war – typisch Balleis – nach einer Meniskusoperation gegen jeden ärztlichen Rat nach weniger als 24 Stunden wieder im Amt. Das zeigt seinen uner-müdlichen Einsatz – auch wenn der in diesem Punkt nicht unbedingt zur Nachahmung zu empfehlen ist…

Wir wollten es in Bayern gut machen – Siegfried Balleis wollte es mit Erlangen besonders gut machen. Und es ist ihm gelungen! Leidenschaft, Ehrgeiz, Einsatz – das ist notwendig. Nicht nur die Gegenwart verlängern, sondern die Zukunft gestalten. Nach vorne denken, weil das Wohlfühlen heute nicht den Wohlstand von morgen sichert. Das ist nach meiner Überzeugung die Aufgabe von Politik. Das hat Siegfried Balleis für Erlangen und weit darüber hinaus unnachahmlich getan. Bayerns „kleinste Großstadt“ war der ideale Nährboden für eine solche zukunftsgewandte Kommunalpolitik mit Champions League Anspruch.

Natürlich ist der Abschied aus einem so maßgeschneiderten und erfüllenden Amt nicht leicht. Es spricht für Siegfried Balleis, dass er das auch sehr unverstellt, offen und ehrlich bekannt hat. Was aber bleibt – für Siegfried Balleis und für Erlangen – sind unter dem Strich 18 überaus erfolgreiche Jahre. Das ist in der immer schnell-lebigeren Politik eine unglaublich lange Zeit, das darf man nicht vergessen.

Der Freistaat Bayern hat Siegfried Balleis bereits mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet. Mit diesem bayerischen „pour le merit“ werden Persönlichkeiten gewürdigt, die sich außerordentlich um unseren Freistaat Bayern verdient gemacht haben. Das ist eine große Ehre. Aber wie ich Siegfried Balleis kenne, wird diese Ehre heute noch getoppt:

Ehrenbürger von Erlangen – ich gratuliere Dir, lieber Siegi, zu dieser wirklich ganz besonderen Auszeichnung durch Deine geliebte Stadt. Und der Stadt Erlangen gratuliere ich zu Ihrem neuen, würdigen Ehrenbürger. 

Herzlichen Dank!

Sonderausgabe „Der amtlichen Seiten“ 

Video „Verleihung der Ehrenbürgerwürde“

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Herrn Rainer Windhorst